Sicilia Ovest


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1. Etappe, Montag 24.04.17: Palermo Aeroporto – Trapani

Ein Jahr, genaugenommen 51 Wochen, später landet das Werksteam von Meo Bici wieder im Aeroporto di Palermo / Punta Raisi. Jeder Handgriff sitzt nun – wir sind mittlerweile geübt – und eine Stunde nach der Landung, kurz nach 10 Uhr, sind die Bici zusammengestellt, Antonio, unser Fahrer begrüsst, das erste Café geschlürft, die Bidons gefüllt, das Gepäck im Furgone verstaut und der Giro 2017 beginnt. Im Gegensatz zum Vorjahr erfüllt das Wetter unsere Vorstellungen und Wünsche von Frühling im Süden voll und ganz. Kurze Hosen und Jersey, sogar Sonnencrème sind angesagt.
Wir umrunden in diesem Jahr Capitanos Heimat im Gegenuhrzeigersinn, wir starten also Siziliens Nordküste entlang in Richtung Westen. Die Eingeborenen arbeiten in ihren Gärten, an ihren Häusern. Die Tourismussaison hat noch nicht begonnen und die meisten Feriendomizile entlang der Strasse stehen verlassen da: Zweitwohnungswüste in ihrer mediterranen Variante begleitet uns. Nach der Granita in Castellamare del Golfo verlassen wir die Küste und klettern auf den westlichsten Ausläufer des Apennins. Bald sehen wir den Hera-Tempel von Segesta an den Hängen des Monte Barbaro vor uns auftauchen. Seine touristische Ausstrahlkraft kommt uns gelegen, denn er weist uns den Weg zum ehemaligen Bahnhofbuffet Segesta-Calatafimi an der stillgelegen Strecke Palermo-Trapani. Die Stazione präsentiert Architektur des italienischen Faschismus in voller Blüte und wurde vor wenigen Jahren respektvoll restauriert, wie die Homepage des Ristorante Mediterraneo Segesta betont.
Nach dem Mittagstisch geht es weiter auf der SP57 in Richtung Trapani. Das Strässchen schlängelt sich in verdauungsgerechten Steigungsprozenten über die Hügel und öffnet das Panorama gegen Süden und Westen. Der Monte Erice, der Hausberg von Trapani, und die Ebene in Richtung Marsala tauchen auf. Auf den letzten 20 Kilometern geht es von 400 MüM mehrheitlich abwärts und wir erreichen unseren ersten Übernachtungsort, das B&B Secret Trapani bereits um vier Uhr nachmittags. Es bleibt also Zeit, um die zum Teil noch nicht optimal eingefahrenen Beine hochzulegen, bevor es zum Abendessen ins Ristorante ai Bastioni geht. Es ist schön, wieder zusammen unterwegs zu sein.
101km-1200Hm. 101km – 1200Hm

2. Etappe, Dienstag 25.04.17: Trapani – Porto Palo

Die Wetterprognosen lagen richtig und auch am zweiten Tag begleitet uns die Sonne von Beginn an am wolkenlosen Himmel –frontal von vorne nun aber auch ein kräftiger Wind, der die warme Luft von Nordafrika über das Meer und uns entgegentreibt. Die Kite-Surfer fliegen vor den Salinen von Marsala in unglaublichem Tempo über das noch nicht aufgepeitschte Wasser, die uns entgegenkommenden Ciclisti jagen in beneidenswerter Souplesse und Geschwindigkeit an uns vorbei. Wir dagegen mühen uns schwer ab, um unseren Schnitt über 20 km/h zu halten. Das Etappenprofil entspricht zwar den Wünschen unserer Passisti, die Mühen aber denjenigen einer Bergetappe ohne Abfahrten. Den Morgencafé gibt es in Marsala, Mittagessen in Mazara del Vallo in der Pizzeria Lo Scoiattolo . Es ist italienischer Nationalfeiertag. Die Leute geniessen den freien Tag, viele essen auswärts. Der Dorf-Trottel kurvt mit Uncle-Sam-Zylinder auf seinem geschmücktem Töffli und Ghetto-Blaster im Anhänger dem Lungomare entlang und um die Tische der Ristoranti. Er winkt und singt glücklich mit in seinem Programm bestehend aus italienischer Nationalhymne und Italo-Schnulzen der letzten fünfzig Jahre. Fellini hätte ihn immediatamente für einen Auftritt in einem seiner Filme gebucht.
Nach dem Mittagessen zurück in den Kampf gegen den Wind. Direkt an der Küste bläst er am unerbittlichsten. Erst kurz vor Selinunte, wo wir ein paar Kilometer landeinwärts versetzt fahren, geniessen wir windgeschütztere Abschnitte. Das archäologische Ausgrabungsgebiet von Selinunte erreichen wir über Feldwege, die die Traktion unserer schmalen Reifen definitiv überfordern und die Steuerkünste von MTB-Fahrern sind gefragt. Wir gelangen sturz- und pannenfrei zu den Tempelanlagen, die von Erdbeben fast zerstört und nach Jahrhunderten in Vergessenheit nun teilweise wiederaufgebaut wurden. Bis zu unserem Tagesziel Porto Palo ist es von hier nicht mehr weit: 15 Kilometer und zwei sanfte Hügelzüge später erreichen wir unseren zweiten Etappenort und das Albergo Vittorio mit fantastischer Lage direkt am Meer – enttäuschend wenig hinreissend dagegen die Zimmer… 110km-800Hm, 110km – 800Hm

3. Etappe, Mittwoch 26.04.17: Porto Palo – Cattolica Eraclea

Nach dem Morgenessen zeigt uns Antonio, unser treuer Fahrer, sein schönes Haus (mit Schweizerfahne davor!) auf einer Hügelkuppe hinter Porto Palo und Marios Alterssitz in spe, bzw. im Bau. Die Aussicht auf das Meer ist umwerfend – ebenso der Wind, der nach der Dorfrundfahrt weiterhin genau aus der Richtung bläst, in die wir aufbrechen. Die sanften Hügel auf dem Weg nach Sciacca lassen uns wissen, dass auch diese Etappe schwerer wird, als das Höhenprofil vermuten liesse. Das Hinterland der Küste ist nun weniger flach, es wird steiler. Die Strassen verlaufen nicht mehr in unmittelbarer Küstennähe und bündeln sich auf der SS115, der wir nun bis unterhalb von Ribera folgen müssen. Auf Empfehlung der Eingeborenen wählen wir das Ristorante Capadà für den Mittagstisch. Eine sehr gute Wahl, wir fühlen uns aufgehoben und wohl. Mit vollen Bäuchen geht es anschliessend in das sizilianische Hinterland. Eine Gruppe folgt der SP61 in Richtung Südosten, biegt dann nach Cattolica Eraclea ab zum B&B/Agriturismo Il verde di Giada. Die andere zieht vorher eine Schleife durch die Hügel und verwinkelten Täler nördlich davon. Es grünt und blüht entlang des erfreulich gut unterhaltenen Strässchens, der Wind bläst nur noch mässig, Verkehr ist kaum vorhanden: kurvenreiches Fahrvergnügen pur.
Lange Variante 94km-1600Hm, kurze Variante 61km-600Hm 94km – 1600Hm

4. Etappe, Donnerstag 27.04.17: Cattolica Eraclea – Leonforte

Das erste Teilstück der vierten Etappe führt über 34 km von Leonforte nach Agrigento. Der Himmel ist milchig, feucht ist es aber nicht. Ob es feiner Wüstensand ist, der nach den stürmischen Tagen noch in der Luft liegt? Der Wind hat sich zum Glück gelegt und wir kommen auf der kaum befahrenen SP29, später einer namenlosen, lauschigen Landstrasse nun zügiger voran. Da ÖV in Italien nur von Menschen verwendet wird, die nicht Auto fahren dürfen – also mehrheitlich Schüler – verlässt unser Zug Agrigento schulschlussgemäss erst um 13 Uhr in Richtung Caltanisetta. Für das Mittagessen in Agrigento sind wir zu früh dran, in Caltanisetta wird es zu spät sein. Es wird ausfallen und muss in Form einer ausgedehnten Kaffeepause mit einer Komplettauswahl an süssen Verlockungen vorgeholt werden. In der Caffetteria Virone sind wir am richtigen Ort – und deren Tagesumsatz ist zur Mittagszeit schon drin.
Die eine Hälfte des Gruppettos fährt bei Antonio im Furgone mit, die andere nimmt den Zug. Wir fahren von Agrigento gegen Nordosten ins Inselinnere, wo im Hochsommer die Hügellandschaft unter der Sonne brennt. Europarekordmässige 48.5°C wurden hier schon gemessen.
In Caltanisetta ist Endstation unserer Zugfahrt. Wir passieren am Stadtausgang die Firma, wo unser Standard-Amaro Averna gebrannt wird, stürzen uns zuerst in die gut ausgebaute Abfahrt der SS122 und beginnen dann den fast 20km langen, aber flachen Aufstieg in Richtung Enna. Die Stadt liegt auf einem Hügel. Wir lassen diesen Bergpreis aus, überqueren die Autobahn Palermo-Catania und erreichen nach ein paar Abfahrten und Flachstücken den Fuss des Schlussanstiegs zu unserem Etappenort, dem Agriturismo Canalotto, unterhalb von Leonforte. Wir sind die einzigen Gäste. Bei der Ankunft werden wir mit Käse, Wurst und Brot für die Mühen des letzten Anstiegs empfangen, später gibt es dann Köstlichkeiten aus dem Garten und dem Viehbetrieb des Agriturismo.
Total 77km-1200Hm 34km - 550hm und 43km - 650hm

5. Etappe, Freitag 28.04.17: Leonforte – Cesarò

Nun geht es endlich in die Hügel, fast schon eine Bergetappe steht an. Wir folgen der SS121 über Leonforte und Nissoria bis vor Agira, biegen dort spitzwinklig ab, folgen der SP18 nach Norden und erreichen via die SP85a Gagliano Castelferrato. Flach ist es nun nur noch selten. Auf einem munterkurvigem Auf (meistens) und Ab (seltener) gewinnen wir an Höhe und erreichen zur Mittagszeit über die SP34 Troina, welches auf über 1000 MüM wie das Schloss bei Kafka auf einer Hügelspitze thront. Der Futternapf heisst «La Ferla» und befindet sich, wo sich die Strasse gabelt, die den Burghügel umringt. Meo Bici erkennt man dort wieder vom Probeessen ein halbes Jahr zuvor: «si torna dove si mangia bene»… Nach dem (wie meistens üppigen) Mittagstisch haben wir nicht mehr weit zu fahren bis zu unserer nächsten Übernachtung im Agriturismo Leanza. Gut 16km folgen wir der SS120 in Richtung Cesarò. Das letzte Stück, die kurze Stichstrasse fast in Falllinie zum Hang, hat es in sich: 50 Höhenmeter auf 200m Wegstück, 25 Steigungsprozente im Schnitt. Die Oberschenkel brennen, der Atem fliegt, die Sicht verengt sich zum Tunnelblick. Einer nach dem andern klickt aus den Pedalen aus und steht keuchend am Wegrand. Nicht mal mit der grossartigen Aussicht auf den Ätna werden wir für diesen Effort belohnt. Kaum 30 Kilometer sind wir von dessen Gipfel entfernt, an bester Panoramalage eigentlich, aber die Sicht ist immer noch zu diesig.
Nur noch zwei kleine Bungalows mit je vier Betten sind im Agriturismo noch frei. Das wird eng. Veloschuhe und -klamotten dürfen draussen bleiben.
67km-1700Hm 67km - 1700hm

6. Etappe, Samstag 29.04.17: Cesarò – Castiglione di Sicilia

Am zweitletzten Tag werden wir den Endpunkt des Meo-Giro 2017 erreichen. Ursprünglich wollten wir am 5° Trofeo Madonna Della Catena teilnehmen. Angemeldet waren wir schon, erreichten zum Schluss aber doch nicht die minimale Mannschaftsstärke, die für einen Start erforderlich gewesen wäre. Die Reservation für die Übernachtung am Ort des Rennens haben wir aber stehen lassen. Das eine Gruppetto wählt für die Fahrt dorthin den direkten Weg und kommt so in den Genuss eines freien Nachmittags. Das andere schnuppert zwei Wochen vor dessen Sizilien-Besuch die Luft des Giro d’Italia und macht einen Abstecher zur Portella della Femmina Morta. Der Giro wird sie vom Meer her überqueren. Wir machen von Cesarò aus einen Abstecher auf die Passhöhe von der Seite, auf der sich die Fahrer nach der Portella in die Abfahrt in Richtung Schlussaufstieg zum Refugio Sapienza am Ätna stürzen werden. Nichts deutet noch auf den Rummel hin, der hier bald Einzug halten wird.
Im Vergleich zu den letzten Tagen ist die Luft kühl, Wolken hängen am Bergkamm und neblige Nieseltropfen empfangen uns, während wir auf der fast verkehrslosen Strasse bergwärts pedalieren. Auf der Passhöhe angekommen posieren wir für die Gipfelfotos, streifen uns die Windjacken über und rauschen zurück nach Cesarò. Von dort folgen wir der SS120 in Richtung Randazzo, ein kurzes Stück auf derselben Strasse, die wir von unserem Giro 2012 bereits kennen. 10 Kilometer vor Randazzo biegen wir dieses Jahr aber rechts ab und erreichen via Maletto und die SS284 die Panoramastrasse «Quota Mila», die sich auf der Nordseite des Ätnas auf einer Höhe von knapp 1000 MüM dessen Kegel folgt. Via Linguaglossa erreichen wir Castiglione di Sicilia und dort das Hotel Domenico, wo sich das andere Gruppetto bereits häuslich eingerichtet hat.
98km-1700Hm 98km - 1700hm

7. Etappe, Sonntag 30.04.17: Castiglione di Sicilia – Castiglione di Sicilia

Den letzten Tag nutzen ein paar von uns für einen Ausflug nach Taormina und ans Meer bei Giardini Naxos. Die anderen haben sich beim Abstecher auf die Portella della Femmina Morta vom Giro-Fieber anstecken lassen und wollen sich den Genuss des Leidens – und der Aussicht – im Schlussaufstieg zum Refugio Sapienza am Ätna nicht entgehen lassen. In Castiglione herrscht emsiges Treiben, der Startschuss zum Trofeo steht kurz bevor. Wir schauen dem Feld zu, wie es über die Kehren oberhalb des Dorfes klettert und folgen ihm nach den letzten Fahrern. An der Einbiegung auf die SS120 zweigt die Rennstrecke gegen rechts ab, wir nach links in Richtung Linguaglossa und dort auf die SP59iv, welche uns nach einem kleinen waldigen Aufstieg schönste Panoramasicht über den Küstenstreifen nördlich von Catania eröffnet. Von knapp 900 MüM in Milo geht es 300 Höhenmeter hinunter nach Zafferana Etnea. Nach dem Znünihalt mit Café e dolci steigen wir ein in die SP92, welche uns nach gut 18 Kilometern auf über 1900 MüM bringen wird. Bereits am Ortsausgang von Zafferana Etnea tauchen erste Lavabrocken am Strassenrand auf. Sie stellen die letzten Ausläufer der grossen Lavaeruptionen der Jahre 1792/93 dar, die damals die Weiden und Äcker oberhalb des Dorfes komplett zerstörten. Die Strasse steigt, den alten Lavastrom immer wieder überquerend, ziemlich gleichmässig mit 6-8% an und wir gewinnen entspannt pedalierend rasch an Höhe. Einzig der vierte Kilometer weist mehr als 10 Steigungsprozente auf, der fünfte zur Erholung dafür nur gut 4. Auf den verwitterten Lavazungen haben nach gut 200 Jahren erst Gräser und ein paar Büsche Wurzeln schlagen können, rechts und links von ihr fahren wir durch Eichen- und Kastanienwälder. Kurz vor dem Kulminationspunkt, ca. 50 Höhenmeter unterhalb des Rifugio Giovanni Sapienza, wechselt die Szenerie komplett: die Farbe der Lava wechselt von schwarz auf purpurrot und erst ein paar kleine Grasbüschel konnten sich lebende Inseln auf den zerstörerischen Auswürfen des Ätnas zurückkämpfen.
Es ist kühl in der Höhe. Nach 28 Grad in Zafferana liegt die Temperatur hier nur noch bei 17. Wir ziehen die Windjacken an und stürzen uns in die Abfahrt in Richtung Nicolosi. Mittagessen gibt es an der Wärme im Ristorante «Le Coccinelle» in Pedara, bevor wir uns via Trecastagni und Zafferana auf den Rückweg machen.
108km-2800Hm 108km-2800Hm.

Verfasser: Urs Christen 2017